Der Norden lädt zum schwimmen ein

Badeferien am Polarkreis

Natürlich geht das: Baden im Hohen Norden ist keineswegs nur für Exoten. Zwischen Island und dem Baltikum finden sich traumhafte Möglichkeiten für Wasserratten. Und vor allem: viel Platz. Massentourismus gibt es nicht. Dafür doppelt so lange Tage – der Mitternachtssonne sei Dank.

Christoph Zurfluh

Freier Journalist

Schon als Teenager bereiste Christoph Zurfluh per Interrail Skandinavien. Später führte ihn seine Arbeit für Kontiki immer wieder dorthin. Die Liebe zum hohen Norden teilen auch seine beiden Kinder.

Die berühmteste Badewelt des Nordens findet sich aber im Süden Finnlands. Ferien in der Finnischen Seenplatte sind die reinste Erholung für Erwachsene. Und ein einziges Abenteuer für Kinder. Zudem dauern sie doppelt so lange: Da die Sonne im Sommer nur ganz kurz untergeht, werden aus einem Ferientag plötzlich zwei. Man hat alle Zeit der Welt – für sich und die Natur: Wälder, soweit das Auge reicht, und dazwischen ein Labyrinth aus 42'000 Seen (180'000 sind es in ganz Finnland).

An ihren Ufern liegen, wie von Künstlerhand inszeniert, romantische Blockhäuser, mal im klassischen Rundholzstil, mal im schwedischen Falunrot oder in leuchtendem Gelb. Fast eine halbe Million Sommerhäuser gibt es in Finnland. Und die besten Gäste sind auch hier die Einheimischen selber – sie wissen, was echte Badeferien sind.

Als die ersten Regentropfen fallen und mir eine steife Brise von Norden um die Nase pfeift, tauche ich ab. Eine wunderbar wohlige Wärme umarmt mich. Ich mache ein paar Luftblasen und überlege, wie lange ich es unter Wasser aushalte. Der Hot Pot weckt das Kind in mir. Als ich wieder auftauche, grinst mich ein älterer Herr freundlich an.

Björn, so stellt sich mein Pool-Genosse vor, weil man sich in Island grundsätzlich du sagt, ist Stammgast im Vesturbæjarlaug. Das kleine, familiäre Thermalbad ist eines von vielen in Reykjavík, ein bisschen in die Jahre gekommen, aber gerade darum Kult. «Bäder», sagt Björn, «sind der grosse Luxus Reykjavíks. Du erreichst von jedem Punkt der Stadt aus in höchstens zehn Gehminuten eines.»

Bäder sind aber nicht bloss der grosse Luxus Reykjavíks. Bäder sind in Island das, was in Italien Bars sind: Man trifft sich hier, um den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen und über Gott und die Welt zu reden.

Heisse Quellen – coole Bäder

Das berühmteste Thermalbad Islands liegt jedoch nicht in Reykjavík, sondern im Niemandsland auf dem Weg zum internationalen Flughafen Keflavik: Die «Blaue Lagune» ist das «Alpamare» der Isländer. Allerdings nur von der Beliebtheit her. Denn es gibt hier keine halsbrecherischen Rutschbahnen und verrückten Wasserattraktionen.

Übers ganze Land verstreut sprudeln unzählige heisse Quellen

Für das wahre Spektakel sorgt die Natur: Sie versorgt das Bad gratis mit heissem Wasser und bietet eine Umgebung, die nicht von dieser Welt scheint. Mitten in einer brandschwarzen, mondartigen Lavalandschaft macht sich das Aussenschwimmbad mit seinem wohltuenden, milchig blauen Wasser breit. Island ist eine Badedestination par excellence. Nur weiss das – abgesehen von den Isländern – kaum jemand. Und selbst Touristen ist oft nicht bewusst, dass die ganze Insel voller (Wasser-) Überraschungen steckt: Jedes Dorf hat sein Schwimmbad, an vielen Orten finden sich kleine Pools, so genannte Hot Pots, und übers ganze Land verstreut sprudeln unzählige heisse Quellen aus der Erde. Dass man die schönsten Badeplätzchen künftig auch als nicht-Isländer findet, dafür sorgt das Projekt Vatnavinir (www.vatnavinir.is), das den sanften Tourismus fördert und unter anderem eine Landkarte mit klassischen Bädern, Pools und Quellen erstellt.

Karibikfeeling am Polarkreis

Baden hart am Polarkreis ist aber keine isländische Exklusivität. Die Vielfalt an traumhaften Seen, idyllischen Flüssen, spektakulären Küsten und karibikartigen Stränden ist im hohen Norden derart gross, dass man nicht bloss die Qual der Wahl hat: Hier macht man Badeferien wie im Süden – nur natürlicher. Zugegeben, es gibt keine Sonnengarantie und die Temperaturen klettern nie auf unerträgliche 40 Grad; 25 Grad sind aber auch in Skandinavien keine Ausnahme. Und man darf getrost davon ausgehen, dass am Strand mehr individueller Platz bleibt als ein Quadratmeter fürs Badetuch. Wasserratten teilen im Norden mit anderen vor allem die Begeisterung für die Destination und nicht den Platz am Wasser; davon gibt es reichlich.

Wie Island mit seinen Pools und Bädern überraschen beispielsweise die norwegischen Lofoten mit weissen Sandstränden wie in der Karibik. 200 Kilometer nördlich des Polarkreises präsentieren sich die Wassertemperaturen rund um den wildromantischen Archipel allerdings eher von der frostigen Seite. Deutlich wärmer wird’s aber an Norwegens Fjordküste. Hier sorgt der Golfstrom vielerorts für angenehme zwanzig Grad.

Schöne, heile Badewelt

Noch wärmer kanns im Süden Schwedens werden, der schon längst nicht mehr als eine Badedestination für Exoten gilt: Kilometerlange Sandstrände bieten die beiden Inseln Öland und Gotland, während der Schärengarten von Blekinge mit Tausenden von kleinen Inseln und unzähligen romantischen Buchten verzaubert. Die ganze Südküste bietet eine perfekte Infrastruktur für ungetrübten Spass am Meer, während im Landesinnern Astrid Lindgrens Bilderbuchschweden mit seinen endlosen Wäldern, sanften Hügeln, falunroten Häusern, tiefblauen Seen und Flüssen das Kind in jedem weckt, der noch einen Funken Verspieltheit in sich hat.

Die Südküste Schwedens bietet eine perfekte Infrastruktur für ungetrübten Badespass.

Ebenfalls herrliche Strände für alle, die von ihren Badeferien mehr erwarten als ein Allinclusive-Hotel und Sonnengarantie, finden sich im Baltikum. Am schier endlos langen Sandstrand von Jūrmala, nördlich von Riga, zeigt sich die Ostsee von ihrer freundlichen Seite, und auf der Kurischen Nehrung an Litauens Westküste sorgen gigantische Dünen für ein Postkartenpanorama der Superlative. Wer Glück hat, findet am Strand sogar ein Stück Bernstein, der hier besonders häufig vorkommt und bis heute eine wichtige Einnahmequelle der Region ist.

Nicht nur für Hartgesottene

Der Himmel über Reykjavík reisst grade auf, als ich mich von Björn verabschiede und aus dem Hot Pot steige. Eine warme Sommersonne brennt mir freundlich auf den Pelz und ich spiele mit dem Gedanken, noch einen Spaziergang am Meer zu machen. Möglicherweise mit einem kleinen Zwischenstopp an der Nautholsvik Geothermal Beach. Hier badet man in einem geschützten Meerbecken, das von einer Thermalquelle auf Wohlfühltemperatur aufgeheizt wird. Ein goldgelber Sandstrand sorgt dabei für Badeferienfeeling. Und mehrere Hot Pots rundherum für glückliche Gesichter bei «Warmduschern». Denn auch sie finden im hohen Norden immer wieder eine Bademöglichkeit.

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