Nordlicht

Meine Lieblingskulisse sind die Lofoten

Er kennt die besten Hotspots, die schönsten Kulissen, die wichtigsten Fototipps – und informiert Kontiki-Kunden schon nachmittags über nächtliche Nordlichtchancen. Im Interview erzählt „Mister Nordlicht“, wie seine Passion mit einer Verwechslung begann, weshalb er einst ein violettes Naturspektakel verpasste, wie zuverlässig seine Prognosen sind – und worauf sich Nordlichtfans freuen können.

Interview: Franziska Hidber

Christoph Siegrist

Christoph Siegrist

SRF-Meteorologe Christoph Siegrist hat den Nordlichtalarm für Kontiki entwickelt.

Christoph Siegrist, Sie betreiben für Kontiki das grösste private Polarlicht-Kameranetz der Welt mit 16 Kamera-Standorten in Nordnorwegen, Finnisch-Lappland, Schweden und Island. Erinnern Sie sich an Ihr erstes Nordlicht?

Ja, sehr gut sogar. Das war im Oktober 1998. Ich fuhr mit dem öffentlichen Bus von Alta nach Hammerfest, nickte während der Fahrt ein, und als ich kurz vor Hammerfest erwachte, sah ich etwas Grünes durchs Fenster schimmern. Zunächst dachte ich an einen Lichtreflex von einer Reklame, erst dann machte es „Klick“ – ich hatte Nordlichter zu jener Zeit gar nicht auf dem Schirm.

Ist es beim Blick durchs Fenster geblieben?

Zum Glück nicht. Nach der Ankunft packte ich sofort meine analoge Kamera und rannte auf einen Parkplatz am Meer, das Nordlicht tanzte noch immer am Himmel. Aber ich hatte natürlich kein Stativ dabei, und der eingelegte Film war für gute Lichtverhältnisse am Tag gedacht. Trotzdem versuchte ich zu ‚fötelen’, legte die Kamera auf einen Stein, damit ich 10 Sekunden belichten konnte. Zuhause liess ich den Film entwickeln, und auf den Fotos war tatsächlich ein „grüner Schlarg“ zu sehen (lacht). Nach diesem Erlebnis hat es mir den Ärmel reingenommen.

Inzwischen beschäftigen Sie sich schon seit bald einem Vierteljahrhundert mit den Polarlichtern. Wo bestaunen Sie den Himmelszauber am liebsten?

Auf den Lofoten. Die Kulisse der nordnorwegischen Inselgruppe mit den steilen Bergen ist phantastisch, vor allem in Kombination mit etwas Mondlicht. Auch die benachbarten Vesteralen sowie die Insel Senja gehören zu meiner persönlichen Nummer eins.

Die Lofoten – und ganz Nordnorwegen – gelten als Nordlicht-Hotspot. Wie kommt es zu dieser Bezeichnung?

Das zeigt die Statistik. Auch Finnisch-Lappland und Island gehören zu den Hotspots – in Island ist das Wetter einfach unberechenbarer. Statistisch gesehen liegt Nordnorwegen leicht vor Finnisch-Lappland, und wenn wir es auf einen Ort eingrenzen, ist Alta ganz im Nordwesten Norwegens die Nordlichtstadt. Auch in Südgrönland stehen die Chancen sehr gut.

Weshalb sind Nordlichter in diesen Regionen häufiger? 

Sie liegen näher beim magnetischen Nordpol. Dieser wiederum befindet sich aktuell zwischen Nordgrönland und Nordkanada – dort, wo die magnetischen Feldlinien des Erdmagnetfelds vertikal zur Erdoberfläche ins Erdinnere eintreten.

Nun müssen sich Kontiki-Reisenden nicht um die Nähe zum magnetischen Nordpol kümmern: Sie erhalten schon am Nachmittag per SMS eine Vorhersage, wie es um die Chance am Abend und in der Nacht bestellt ist. Wie zuverlässig sind diese Prognosen?

Einfach gesagt: Je höher die Chance in der Vorhersage angegeben wird – also gross oder sehr gross – desto wahrscheinlicher trifft sie zu. Vorhersagen können nie so präzis sein wie ein Wetterbericht, weil sie auf Beobachtungen der Sonne beruhen. Erzeugt die Sonne eine Eruption Richtung Erde, kann daraus nach zwei bis vier Tagen ein geomagnetischer Sturm auf der Erde entstehen, eine der Bedingungen für Polarlichter. Doch da zwischen Erde und Sonne rund 150 Millionen Kilometer liegen, bleibt es bei einer Schätzung.

Vor bald einem Jahrzehnt haben Sie erste Nordlichtkamera für Kontiki in Luosto in Finnisch-Lappland installiert. Wie sind Sie auf die Idee mit der Kamera gekommen?

Ich liess mich schon länger via SMS über aktuelle Sonnenwinddaten informieren, die von Satelliten erfasst wurden. Das Problem dabei: Der Satellit registriert nur die Sonnenwinde, nicht aber die Wetterverhältnisse. Für einen Nordlicht-Alarm genügt das nicht, es käme bei jeder Sonnenwindaktivität zu einem Alarm, selbst bei starker Bewölkung. Die Kamera hingegen schiesst alle fünf Minuten ein Bild vom Nachthimmel und übermittelt es via Internet in die Schweiz, ein Computerprogramm sucht nach Polarlicht auf den Bildern – und löst den Alarm aus, falls er eines findet.

Kontiki-Geschäftsführer Bruno Bisig hatte den Nordlicht-Alarm schon angekündigt, als Sie noch gar nicht wussten, ob Ihre Idee mit der Kamera wirklich funktionieren würde.

(Lacht) Genau so war es. Ich hatte damals zwar schon einen Alarm programmiert, aber nur für mich. Als Bruno Bisig davon hörte, rief er: „Das wotti!“ Mir schwebte eine Testsaison vor, er hingegen wollte sofort starten und hatte die Neuigkeit bereits in den Winterkatalog gesetzt. Zu meiner Erleichterung funktionierte die Kamera vom ersten Tag an.

Wie knifflig war diese erste Montage?

Es lag noch kein Schnee damals im November, die Umstände waren somit günstig. Allerdings bin ich als Handwerker mässig begabt und fand das Montieren recht anstrengend, sodass ich danach müde ins Bett fiel und tief schlief. Am nächsten Tag beim Überprüfen der Bilder entdeckte ich unter den Aufnahmen ein speziell schönes violettes Nordlicht. Ich hatte es verschlafen! Das hat mich noch eine ganze Weile gefuchst.

Heute sind es bereits 16 Nordlichtkameras in Norwegen, Finnisch-Lappland, Schweden und Island. Wie sehr halten die Kameras Sie in Atem?

Nicht mehr so sehr wie in den Anfängen. Die aktuelle Version der Kameras ist robuster. Wenn es zum Beispiel zu einem Ausfall kommt, starten sie automatisch neu. Auch mit der Heizung und der Isolation gibt es kaum mehr Probleme: Die Kameras sind zum Himmel ausgerichtet und müssen schnee- und eisfrei bleiben. Und wenn irgendwo doch etwas nicht klappen sollte, habe ich an jedem Standort Leute. Ich kann ja nicht ständig in den hohen Norden reisen, so gern ich auch würde (lacht).

Gibt es ein Sorgenkind unter den Kameras?

Eine besondere Herausforderung ist der schwer erreichbare Standort Grundarfjördur im Westen Islands. Für die Montage auf dem Dach brauchten wir gar einen Kran. Auf andere Art abenteuerlich ist die Nordlichtkamera im Südosten der Insel. Dort befindet sich nur fünf Kilometer entfernt ein aktiver Vulkan, und zwar unter dem Gletscher. Ich habe mir die Evakuierungspläne angeschaut: Sämtliche Pfeile zeigen von der Kamera weg (lacht). Das realisierte ich allerdings erst nach der Montage. Wenn dort die Erde zu beben beginnt, haben wir den Salat. Bisher ist es zum Glück ruhig geblieben.

Wenn Sie zurückschauen auf die Anfänge im Jahr 2012: Hätten Sie mit dieser Entwicklung des Nordlichtalarms gerechnet?

Nein, nie. Ich freue mich darüber, was heute alles möglich ist. Zu Beginn brauchten wir spezielle Nordlicht-Handys für die Gäste, heute kommen die Nachrichten direkt aufs eigene Smartphone. Inzwischen gelten die Prognosen nicht nur für einen fixen Standort, sondern für eine ganze Region. Und selbst wer zum Beispiel eine Rundreise durch Island macht, erhält den Alarm und die Vorhersage für jeden neuen Ort automatisch.

Ihr persönliches Highlight als Mister Nordlicht?

(Lacht) Dass ich die Nordlichter ganz gemütlich via Computer von zuhause aus schauen kann.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Werden wir in den nächsten Jahren mehr oder weniger Nordlichter sehen?

Da habe ich eine gute Nachricht: Nach dem Minimum im Jahr 2020 wird die Nordlichtaktivität jetzt stärker. Die Chancen steigen bereits wieder. Ab Herbst 2023 beginnt dann ein ausgeprägter Nordlichtzyklus – er dauert bis ins Jahr 2031.

Wohin würden Sie jemanden schicken, der noch kein Nordlicht gesehen hat und unbedingt eines erleben möchte?

Nach Alta oder Kilpisjärvi im äussersten Nordwesten Finnlands. Aber egal wo, wichtig ist ein genügend grosses Zeitfenster, mindestens eine Woche.

Sie sind auch ein leidenschaftlicher Nordlicht-Fotograf. Ihre Tipps?

Die Einstellungen unbedingt zuhause schon üben, denn das Scharfstellen in der Nacht hat seine Tücken. Ein Fernauslöser verhindert das Verwackeln, und ein Stativ ist unabdingbar. Wenn das Nordlicht erscheint, muss es schnell gehen – dann sollte man sich nicht mit der Kamera abmühen müssen. Sonst hat man am Schluss weder das Erlebnis noch brauchbare Bilder. Im Zweifelsfall lieber die Kamera weglegen und das Naturschauspiel geniessen.

Zum Schluss: Wohin führt Ihre nächste Reise Richtung Nordlicht?

Nach Island – ich hoffe auf gute Bedingungen!


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